Jazzhauptstadt Frankfurt? Eine kritische Bestandsaufnahme

In einem von der Jazzszene viel beachteten Artikel, der am 19.1.11 in der FAZ erschienen ist, setzt sich Wolfgang Sandner mit dem Status Frankfurts als Jazzhauptstadt auseinander.

Ob gut oder schlecht, was großgeredet wurde, verschwindet nie so ganz. Und deshalb hält sich auch noch immer das Gerücht von Frankfurt als Jazzhauptstadt der Republik.

Frankfurts Jazz-Geschichte beginnt  schon früh, nämlich bereits in den 1920er Jahren, als Matyas Seiber am Hoch’schen Konservatorium eine Jazzklasse einrichtete. Die Nazis machten dem allerdings schon bald ein Ende. Richtig los ging es mit dem Jazz dann in der Nachkriegszeit, als sich die Stadt den Ruf der Jazzmetropole „ehrlich erworben“ hat, wie Sandner schreibt.

Damals existierte so etwas wie eine vitale Szene, es gab sogar eine Jazzgasse mit dem Keller und dem Jazzhaus nebst Galerie Olaf Hudtwalckers als attraktiven Treffpunkt der Aficionados. (…) Das Deutsche Jazzfestival Frankfurt setzte stilistische Ausrufezeichen, das Jazzensemle des HR besaß eine Experimentalbühne ohne Beispiel, und selbst die Musikhochschule, nach hoffnungsvollen Anfängen mit Seiber in ein fünfzigjähriges Wachkoma gefallen, öffnete – wenn auch eher zaghaft – ihre heiligen Hallen für Ausbildungsgänge zum Jazzmusiker.

Der Blütezeit der Jazzszene in den ersten Nachkriegsjahrzehnten schloss sich das, wie Sandner es nennt, „Silberne Zeitalter“ an: die siebziger und achtziger Jahre, die Namen wie Volker Kriegel, Christof Lauer und Thomas Cremer hervorbrachten. In den Neunzigern dann gründete sich die Jazzinitiative Frankfurt, das Arbeitsstipendium Jazz der Stadt Frankfurt wurde erstmals vergeben und die BigBand des HR wandelte sich von einem Unterhaltungsorchester zu einer ernstzunehmenden Größe in der Jazzorchester-Szene.

Aber der etwas genauere Blick offenbart, dass der Ausbau der kulturellen Infrastruktur ins Stocken geraten ist, mittlerweile andere Kommunen die Überholspur in Sachen Jazz genommen haben. Das hat Gründe in manchem Versäumnis der Vergangenheit. Als zum Beispiel Wolfgang Böhm vor einigen Jahren als Pächter das Jazzhaus aufgab, hat man nicht daran gedacht, dieses traditionsreiche Gebäude für den Jazz zu erhalten und möglicherweise in ein Jazzinstitut umzuwandeln. Ein solches befindet sich mittlerweile in Darmstadt und gilt heute schon als eine der bedeutendsten  internationalen Forschungsstätten des Jazz.

Aber auch im Konzertbetrieb und in der Jazzausbildung hat Frankfurt den Anschluss verloren. Internationale Jazzgrößen finden viel eher in den benachbarten Städten Aschaffenburg, Darmstadt oder Mannheim eine Bühne als in Frankfurt, und angehende Jazzmusiker verlassen Frankfurt gen Köln, Weimar oder anderer Städte mit Jazz-Hochschule, wenn sie studieren wollen.

Irgendwie lebt der Jazz in Frankfurt noch immer von der Hand in den Mund. (…) Man ruht sich aus auf dem Mythos und hütet den Mangelsdorff-Schatz wie Fafner den Nibelungenhort. Das reicht schon jetzt kaum aus. Soll daraus die Zukunft für den Jazz in Frankfurt erwachsen?

6 Antworten auf „Jazzhauptstadt Frankfurt? Eine kritische Bestandsaufnahme“

  1. Ich kann Wolfgang Sandner nur zustimmen. Junge, angehende Jazzmusiker hält nur noch wenig in Frankfurt, sie zieht es zum Studieren nach Mannheim, Köln oder Berlin. Selbst die „kleinen“ Nachbarorte Mainz und Würzburg haben Musikstudenten mehr zu bieten als die ehemalige Jazzhauptstadt.

  2. Zumindest im Bereich das klassischen/traditionellen Jazz und Swing ist Frankfurt seit vielen Jahren die absolute Hauptstadt und hat mit der Barrelhouse Jazzband die kreativste und populärste Band dieses Genres, die jährlich bei Konzerten wie in der Alten Oper bis zu 2500 Leute begeistert. Jazz wird nicht nur von progressiven avantgardistischen Bands gespielt, sondern auch von vielen der Tradition zugewandten Bands. Dazu gibt es in Frankfurt auch die großen Altmeister wie Emil Mangelsdorff und Gustl Mayer.
    Dieter Nentwig, Promoter

  3. schön, auch mal eine positive Stimme zu dem Thema zu lesen 😉
    … aber auch im traditionellen Genre sind etliche Spielstätten verloren gegangen. Für eine lebendige „Jazz-Szene“ ist es ja auch wichtig, das sich Musiker begegnen, austauschen und einander ausprobieren können. Bei den Großereignisse in der AOF können sie das nicht.
    Deswegen frage ich mich/dich, wo denn außerhalb der AOF die Traditional/Swing-Szene stattfindet? Wo treffen die sich? Wo jammen die? Wo haben die ggf steady gigs?

    1. Die MAINstreammusiker treffen sich auch im Jazzkeller (nicht nur in Rödermark, Hanau & Offenbach). Sie wurden aber jahrelang diffamiert und von Frankfurter Avantgardefans in den Programmgruppen als „Barmusiker“ beschimpft. Das betraf sogar Musiker, die Du in Rhein Main an 10 Fingern abzählen kannst (Christoph Neubronner, Christoph Sänger, Christoph Spendel). Ich mußte hart dafür kämpfen, damit sie überhaupt nur kleine gigs bekamen. In Frankfurt wird man für jeden Ton den man geradeaus spielt schief angeguckt.
      Wenn die Frankfurter zum Lachen in den Keller gehen, sollen sie gerne zum Genießen nach Offenbach, … kommen.
      SCHAADE, dass man Dieter Nentwig und Bernd Otto eher alleine ließ. Es gibt den deutschen Oscar Peterson, den deutschen Pat Metheny, … damit diese über sich hinauswachsen und eigenständig werden, hätten auch sie steady Auftritte in Ffm gebraucht. Es ist eine Schädigung der ganzen Szene und eine Schande, dass man von dem „Baum“ nur die vermeintliche Krone (Modern) wollte, den Stamm und die Wurzeln abschnitt, so kann er nicht gut wachsen. Das wäre auch für Jugendarbeit wichtig, die funktioniert auch besser in Kombination mit MAINstream. Toleranz gegenüber und Integration von MAINstream könnte der Bewegung eine viel größere Kraft & Breite geben und auch nicht Insider für Jazz begeistern. Joey de Francesco im Palmengarten war ein Schritt in die richtige Richtung und dann wieder Wollny, … Friedliches tolerantes nebeneinander wie in Bingen, … (wenn auch mit einem anderen Schwerpunkt) würde auch Frankfurt gut tun.

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